DB: Der Bundestag beschloss Ende September 2022 die Einführung einer steuerfreien Inflationsausgleichsprämie. Wie läuft die Auszahlung der Inflationsausgleichsprämie mittlerweile in der Praxis?
Otte: Das ist für Arbeitgeber vergleichsweise einfach: Arbeitgeber können frei entscheiden, ob und in welcher Höhe – bis max. 3.000 Euro – sie ihren Arbeitnehmern eine Inflationsausgleichsprämie gewähren. Die Zahlung sollte deutlich als „Inflationsausgleichsprämie“ bezeichnet werden und muss bis zum 31.12.2024 ausgezahlt werden. Arbeitgeber müssen sie allerdings selbst tragen. Darin unterscheidet sie sich von der Energiepreispauschale, die Arbeitgeber im September an ihre Arbeitnehmer ausgezahlt haben. Letztere konnten Arbeitgeber auf Kosten des Fiskus über eine Kürzung der abzuführenden Lohnsteuer refinanzieren.
Entscheidet sich der Arbeitgeber zur Gewährung einer Inflationsausgleichsprämie, dann profitieren Arbeitnehmer davon, dass sie die Leistung des Arbeitgebers ohne Abzüge erhalten. Zugleich ist die Belastung des Arbeitgebers dadurch gemindert, dass er keine Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung abführen muss. Zudem kann der Arbeitgeber die zusätzlichen Personalkosten ganz normal als Betriebsausgaben steuermindernd abziehen.
Da Arbeitgeber frei über die Gewährung von Inflationsausgleichsprämien entscheiden können, ist die Handhabung uneinheitlich. Einige kurzentschlossene Arbeitgeber haben unmittelbar von der neuen Möglichkeit in vollem Umfang Gebrauch gemacht. Andere haben sich zunächst für kleinere Unterstützungsleistungen entschieden und der – nach meiner Einschätzung – überwiegende Teil der Arbeitgeber hat noch keine abschließende Entscheidung getroffen.
DB: Muss die Prämie in einer Summe ausgezahlt werden oder können Arbeitgeber „stückeln“ bis zum Fristablauf am 31.12.2024?
Otte: Der Höchstbetrag von 3.000 Euro kann in mehreren Teilbeträgen oder sogar gleichmäßig über den Zeitraum bis zum 31.12.2024 verteilt gewährt werden. Solange der Höchstbetrag noch nicht erreicht ist, kann sich der Arbeitgeber in diesem Zeitraum jeweils neu zur Auszahlung eines weiteren Teilbetrags entscheiden. Eine gestaffelte Auszahlung führt aber nicht dazu, dass sich der Höchstbetrag von 3.000 Euro erhöht oder vervielfacht.
DB: Aber entsteht dann nicht die Gefahr der betrieblichen Übung, wenn regelmäßig kleine Beträge fließen?
Otte: Ja. Wird die Prämie ohne kollektivrechtliche Grundlage, z.B. Tarifvertrag, Betriebs- oder Dienstvereinbarung, in mehreren Teilzahlungen an die Arbeitnehmer zur Auszahlung gebracht, besteht die Gefahr einer betrieblichen Übung und damit der Begründung eines dauerhaften Anspruchs der Mitarbeiter auf entsprechende Zahlungen. Um dies zu verhindern, sollte jede Zahlung mit einem klar und verständlich formulierten Freiwilligkeitsvorbehalt versehen werden, der zum Ausdruck bringt, dass es sich um eine einmalige freiwillige Leistung handelt und kein Rechtsanspruch auf zukünftige Weitergewährung begründet wird.
DB: Kann der Arbeitgeber die Prämie auch einfach statt Weihnachts- oder Urlaubsgeld auskehren und sich damit Abgaben sparen?
Otte: Nein, das kann er nicht. Die Steuer- und Sozialabgabenbefreiung der Inflationsausgleichsprämie setzt voraus, dass sie zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise gezahlt wird. Gefördert werden also nur echte Zusatzleistungen des Arbeitgebers, auf die die Arbeitnehmer nicht bereits einen Anspruch haben. Es ist also nur möglich, das steuer- und abgabenpflichtige Weihnachts- oder Urlaubsgeld um eine zusätzliche steuerbegünstigte Inflationsausgleichsprämie zu erhöhen. Beide Zahlungen können in einer Gehaltsabrechnung abgerechnet werden, müssen aber gesondert ausgewiesen werden.
DB: Muss die Prämie allen Beschäftigten gewährt werden oder kann man die Prämie auch nur an einzelne Mitarbeitende auszahlen?
Otte: Sofern der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern eine freiwillige Leistung nach einem erkennbar generalisierenden Prinzip zuwendet, gilt der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz. Werden Beschäftigte oder Beschäftigtengruppen von der Zahlung der Prämie ausgenommen, bedarf es dafür eines sachlichen Grunds, der sich am Zweck der Leistung orientieren muss. Da die Prämie gemäß § 3 Nr. 11c EStG „zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise“ gewährt wird, kommen sachliche Gründe nur bei unterschiedlicher Betroffenheit von gestiegenen Verbraucherpreisen in Betracht, z.B. Orientierung an der Einkommenssituation. Im Fall einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung droht eine sogenannte „Angleichung nach oben“, d. h., dass Mitarbeiter(gruppen), die ausgenommen wurden, einen Anspruch auf die Prämie geltend machen können.
DB: Und welche Rolle spielt der Betriebsrat?
Otte: Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht, da es sich bei der Frage der Verteilung der Inflationsausgleichsprämie um eine solche der betrieblichen Lohngestaltung handelt.
DB: Kann die Prämie statt in Geld auch in Sachleistungen gewährt werden?
Otte: Ja, das ist ausdrücklich im Gesetz zugelassen.
DB: Welche steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Vorgaben müssen unbedingt beachtet werden? Gibt es Stolperfallen?
Otte: Eine steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Begünstigung setzt voraus, dass die Auszahlung im Begünstigungszeitraum, d.h. frühestens am 26.10.2022 und spätestens am 31.12.2024 ausgeführt wird. Empfänger der Prämie können nur Arbeitnehmer sein. Die Prämie muss zusätzlich gewährt werden, d.h. eine Gehaltsumwandlung oder der Ersatz bereits bestehender Gehaltsansprüche durch eine Inflationsausgleichsprämie ist nicht zulässig. Das schließt aber nicht aus, dass die Prämie auf tarifvertraglicher, betrieblicher oder individualvertraglicher Grundlage geleistet wird, solange es sich um eine „neue“ Leistung des Arbeitgebers handelt, die nicht eine bereits früher zugesagte andere ersetzt.
Die Leistung muss im Zusammenhang mit der Inflation stehen. Hierzu ist keine schriftliche Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erforderlich und der Arbeitgeber muss auch nicht die tatsächliche Betroffenheit des einzelnen Arbeitnehmers prüfen. Doch der Zweck der Leistung sollte sich zumindest aus der Bezeichnung „Inflationsausgleichsprämie“ in der Gehaltsabrechnung bzw. auf dem Überweisungsträger ergeben. Die Begünstigung greift nur bis zum Erreichen des Höchstbetrags von 3.000 Euro. Darüber hinausgehende Beträge unterliegen dem normalen Lohnsteuer- und Sozialabgabenabzug.
Der Arbeitgeber muss die steuerfreien Leistungen im Lohnkonto aufzeichnen. Daraus sollte sich auch der Inflationsbezug ergeben.